Argument der menschlichen Grenzfälle

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Das Argument der menschlichen Grenzfälle (AMG) ist ein Argument in der Tierethik zum moralischen Status von Tieren.

Die Vertreter des AMG behaupten, sobald Mitglieder der Gesellschaft wie Kleinkinder, Senile, Komatöse und Geisteskranke einen moralischen Status aufwiesen, Tieren dieser ebenfalls zukäme. Zur Begründung wird angeführt, diese menschlichen "Grenzfälle" wiesen keine Eigenschaften von moralischem Belang auf, die nicht auch bei Tieren vorkämen.

Der moralische Status betrifft sowohl Rechte der Einzelnen selbst als auch Verpflichtungen anderer, in einer bestimmten Art und Weise behandelt zu werden.

Hauptvertreter

Das AMD wird hauptsächlich Peter Singer zugeschrieben. Daniel Dombrowski zufolge sei es bereits bei Porphyrios im dritten vorchristlichen Jahrhundert zu finden.[1]

Formen des AMG

James Rachels argumentiert mit der Evolutionstheorie: Diese zeige die nur graduellen Unterschiede von Menschen und anderen Lebewesen, insbesondere Tieren. Demnach seien menschliche Randfälle (marginal-case humans) entsprechenden Tieren gleichzustellen.[2]

Eine weniger extreme Version des AMG (etwa bei Daniel Dombrowski) fordert dazu auf, Tiere aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Kleinkindern und geistig Schwerbehinderten ähnlich wie letztere wertzuschätzen und zu behandeln.

Evelyn Pluhar unterscheidet zwei Versionen des AMG:

  1. Das bikonditionale AMG: Es sagt, der moralische Status von nichtmenschlichen Tieren und „Grenzfällen“, die sich in den relevanten Eigenschaften ähneln, sei äquivalent. Solche Tiere haben dann und nur dann Rechte, wenn die entsprechenden Menschen sie haben. Ob das der Fall ist, verbleibt offen.
  2. Das kategorische AMG: Es zeichnet sich dadurch aus, das Argument zur Begründung von moralischen Normen zu nutzen. Falls etwa wie in dem Beispiel nichtmenschliche Tiere wegen des Fehlens der Eigenschaft(en), im Eingangsbeispiel wegen des Fehlens von Rationalität, keine Rechte hätten, so hätten die „Grenzfälle“, also Menschen ohne Rationalität, ebenfalls keine. Diesen Sachverhalt stellen dann sie meisten VertreterInnen des Arguments in einen Widerspruch zu den Menschenrechten und begründen so die Existenz von Tierrechten, oder anderen ethischen Normen. Das Argument wird für gewöhnlich in der logischen Struktur einer Kontraposition vorgebracht und ist auch hier so dargestellt. („Tierrechte existieren nicht Menschenrechte existieren nicht“)

Rezeption

Die offene Diskussion des AMD ist im englischen Sprachraum deutlich weiter verbreitet als in Deutschland. R. G. Frey und Allan Holland zufolge zeigt das Argument als solches lediglich einen Widerspruch auf, schweige sich über dessen Auflösung aber aus. Die Ablehnung von Menschenrechten für „Grenzfälle“ sei gänzlich inakzeptabel. Eine solche Auflösung wird von einigen auch verteidigt.[3] Steven F. Sapontzis zufolge sei das AMD irreführend, weil der moralische Wert von Nichtmenschen (oder Menschen) keineswegs aus Ähnlichkeiten erwachse, sondern aus einem Respekt für den Eigenschaften übergeordneten Tugenden, die sich beobachten ließen.[4]

Eine grundsätzlich klar spezieszistische Position findet sich im Begriff der Menschenwürde, wie sie unter anderem in zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts definiert ist: Die Würde des Menschen meint demnach einen Wert- und Achtungsanspruch, der Menschen bereits allein kraft ihres Menschseins zukommt, unabhängig von ihren Eigenschaften, ihrem körperlichen oder geistigen Zustand, Leistungen oder sozialem Status. Die Würde des Menschen als solche geht auch über den Tod des Menschen hinaus. Ulrich H. J. Körtner argumentiert zudem mit der alleinigen Fähigkeit des Menschen zur moralischen Einsicht an sich. Damit sei eine Argumentation, die aus einem extremen Utilitarismus Eigenschaften und Fähigkeiten eines Lebewesens als Grundlage dessen Status als Person anführt, nicht vereinbar. Inwieweit nichtmenschlichen Lebewesen oder gar wie beim Unitarismus und im Pantheismus der gesamten Natur ein moralischer Status zukommt und wie dieser in Abgrenzung von den menschlichen Ansprüchen abzugrenzen und zu bewerten ist, bleibt offen.

Quellen

  • Dombrowski, Daniel. Babies and Beasts: The argument from marginal cases University of Illinois Press, 1997, ISBN 978-0252066382.
  • Animal Liberation: A New Ethics for our Treatment of Animals, Peter Singer, New York Review/Random House, New York, 1975; Cape, London, 1976; Avon, New York, 1977; Paladin, London, 1977; Thorsons, London, 1983. Harper Perennial Modern Classics, New York, 2009.
  • E. Anderson: Animal rights and the values of nonhuman life. In: Animal rights: Current debates and new directions. 2004, S. 277–98.
  • DANIEL A. DOMBROWSKI: Is the Argument from Marginal Cases Obtuse? In: Journal of Applied Philosophy. 23. Jahrgang, Nr. 2, 2006, S. 223–232, doi:10.1111/j.1468-5930.2006.00334.x (doi.org [abgerufen am 15. Juli 2010]).
  • Marc Bekoff: Encyclopedia of Animal Rights and Animal Welfare. 1. Auflage. Greenwood Press, 1998, ISBN 0-313-29977-3 (gov.ar [PDF]).
  • Pluhar, Evelyn, Beyond Prejudice: The Moral Significance of Human and Nonhuman Animals (Durham, NC: Duke University Press, 1995)

Einzelnachweise

  1. Dombrowski, Daniel A. “Vegetarianism and the Argument from Marginal Cases in Porphyry.” Journal of the History of Ideas 45.1 (1984): 141-143. Print.
  2. Rachels, James. Created from animals : the moral implications of Darwinism. Oxford [England]; New York: Oxford University Press, 1991. Print.
  3. Frey, R. G., Vivisection, Morals, and Medicine, Journal of Medical Ethics 9 (1983) 95–104; Als jemanden der die von Frey (et al.) inkriminierte Auflösung verteidigt, siehe Townsend, Peter, Radical Vegetarians, Austral-asian Journal of Philosophy 57(1) (1979): 85–93 und Carruthers, Peter, The Animals Issues: Moral Theory in Practice (Cambridge: Cambridge University Press, 1992);
  4. Sapontzis, Steven F., Are Animals Moral Beings? American Philosophical Quarterly 17 (1980): 45–52; Sapontzis, Steven F., Speciesism, Between the Species 4 (1988): 97–99.