„Geniza“ – Versionsunterschied

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Eine '''Geniza''' [{{IPA|geˈniːza}}], im Deutschen meist '''Genisa''' geschrieben<ref>Beide Schreibweisen sind laut Duden üblich, empfohlen wird ''Genisa'' ([http://www.duden.de/rechtschreibung/Genisa Duden online])</ref> ([[Hebräische Sprache|hebr.]] גניזה ''gənīzā''; aus [[Persische Sprache|pers.]]: ''gonj'' Schatzkammer; [[Plural]]: ''Genizoth''), ist ein vermauerter Hohlraum zur Aufbewahrung ausgedienter [[Judentum|jüdischer]] [[Liturgie|liturgischer]] Schriften. Hier wurden nicht mehr lesbare [[Tora]]rollen oder andere Texte, die man nicht mehr benutzte, verschlossen abgelegt. Texte, die das Tetragrammaton ([[JHWH]]) oder andere [[Gottesnamen im Judentum|Gottesnamen]] enthalten, dürfen nicht einfach weggeworfen werden. So haben wichtige Schriftstücke der jüdischen Liturgie und der jüdischen Geschichte überdauert.
Eine '''Geniza''' [{{IPA|geˈniːza}}], im Deutschen meist '''Genisa''' geschrieben<ref>Beide Schreibweisen sind laut Duden üblich, empfohlen wird ''Genisa'' ([http://www.duden.de/rechtschreibung/Genisa Duden online])</ref> ([[Hebräische Sprache|hebr.]] גניזה ''gənīzā''; aus [[Persische Sprache|pers.]]: ''gonj'' Schatzkammer; [[Plural]]: ''Genizoth''), ist ein vermauerter Hohlraum zur Aufbewahrung ausgedienter [[Judentum|jüdischer]] [[Liturgie|liturgischer]] Schriften. Hier wurden nicht mehr lesbare [[Tora]]rollen oder andere Texte, die man nicht mehr benutzte, verschlossen abgelegt. Texte, die das Tetragrammaton ([[JHWH]]) oder andere [[Gottesnamen im Judentum|Gottesnamen]] enthalten, dürfen nicht einfach weggeworfen werden. So haben wichtige Schriftstücke der jüdischen Liturgie und der jüdischen Geschichte überdauert. Das Vergraben von nicht mehr benutzbaren heiligen Büchern ist in vielen jüdischen Gemeinschaften bis in die Gegenwart bekannt.<ref> Joseph Sadan (1986), S. 39. Anm. 8 </ref>


== Geniza der Ben-Esra-Synagoge in Kairo ==
== Geniza der Ben-Esra-Synagoge in Kairo ==
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Gemäß seinem zusammenfassenden, an der [[Hanafiten|ḥanafitischen]] Rechtsschule orientierten Gutachten ist es zulässig, nicht mehr verwendbare Schriften zu verbrennen, nachdem man darin den Gottesnamen und die Namen der Engel und Propheten getilgt hat. Bevorzugt wird allerdings die Reinigung der Schriften in fließendem Wasser und ihre Hinterlegung, in reinen Tüchern eingewickelt, in einem Grab, das unterirdisch seitlich noch eine Nische (''laḥd'') hat. Nach der Lehre der Hanafiten und [[Hanbaliten]] erfolgt das Vergraben von Koranexemplaren, die nicht mehr lesbar sind, genauso, wie die Beisetzung von Muslimen. Hierbei greift man in der Traditionsliteratur auf die alte Praxis eines Schülers von [[ʿAbd Allāh ibn ʿAbbās]] († 688), Abū l-Ǧauzāʾ,<ref> [[adh-Dhahabī|aḏ-Ḏahabī]]: ''Siyar aʿlām an-nubalāʾ''. Band 3. S. 371-372 </ref> zurück, der einen durch Feuchtigkeit zerstörten Koran in seiner Privatmoschee in [[Medina]] vergraben haben soll. Dabei folgte er der überlieferten Tradition, dernach schon der Kalif [[Uthman ibn Affan|ʿUṯmān ibn ʿAffān]] († 656) Koranexemplare zwischen dem Prophetengrab und dem [[Minbar]] der [[Prophetenmoschee]] vergraben haben soll.<ref> ''al-mausūʿa al-fiqhiyya''. (3. Auflage. Kuwait 2003). Band 21. S. 21 (''dafn al-maṣāḥif'')</ref>
Gemäß seinem zusammenfassenden, an der [[Hanafiten|ḥanafitischen]] Rechtsschule orientierten Gutachten ist es zulässig, nicht mehr verwendbare Schriften zu verbrennen, nachdem man darin den Gottesnamen und die Namen der Engel und Propheten getilgt hat. Bevorzugt wird allerdings die Reinigung der Schriften in fließendem Wasser und ihre Hinterlegung, in reinen Tüchern eingewickelt, in einem Grab, das unterirdisch seitlich noch eine Nische (''laḥd'') hat. Nach der Lehre der Hanafiten und [[Hanbaliten]] erfolgt das Vergraben von Koranexemplaren, die nicht mehr lesbar sind, genauso, wie die Beisetzung von Muslimen. Hierbei greift man in der Traditionsliteratur auf die alte Praxis eines Schülers von [[ʿAbd Allāh ibn ʿAbbās]] († 688), Abū l-Ǧauzāʾ,<ref> [[adh-Dhahabī|aḏ-Ḏahabī]]: ''Siyar aʿlām an-nubalāʾ''. Band 3. S. 371-372 </ref> zurück, der einen durch Feuchtigkeit zerstörten Koran in seiner Privatmoschee in [[Medina]] vergraben haben soll. Dabei folgte er der überlieferten Tradition, dernach schon der Kalif [[Uthman ibn Affan|ʿUṯmān ibn ʿAffān]] († 656) Koranexemplare zwischen dem Prophetengrab und dem [[Minbar]] der [[Prophetenmoschee]] vergraben haben soll.<ref> ''al-mausūʿa al-fiqhiyya''. (3. Auflage. Kuwait 2003). Band 21. S. 21 (''dafn al-maṣāḥif'')</ref>

Das Vergraben von nicht mehr benutzbaren heiligen Büchern ist im übrigen auch in vielen jüdischen Gemeinschaften bis in die Gegenwart bekannt.<ref> Joseph Sadan (1986), S. 39. Anm. 8 </ref>


Güzelhisārī untersagt in seiner Fatwa, Koranblätter, die nicht mehr benutzt werden können, als Einband, oder als eine Art Schutz für andere Codices zu verwenden. Dies spricht dafür, daß eine solche Praxis spätestens zu seiner Zeit nicht unbekannt gewesen sein dürfte.<ref>Sadan (1986), S. 46</ref> Bereits der [[al-Andalus|andalusische]] Koranexeget al-Qurṭubī, Muḥammad ibn Aḥmad ibn Abī Bakr († 1273 in Oberägypten) verweist in der Einleitung zu seinem monumentalen ''al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān'' auf diese Praxis in einem eigens für die Heiligkeit (''ḥurma'') des Korans gewidmeten Kapitel: „zur Heiligkeit des Korans gehört auch, daß man das abgenutzte und verfallene Blatt (daraus) nicht zum Schutz von Büchern verwendet. Denn das ist eine gemeine Untat; vielmehr wischt man das Blatt mit Wasser ab.“<ref>''al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān.'' Band 1, S. 50. Beirut 2006</ref> Dagegen wird die Verwendung abgenutzter Blätter zum Schutz anderer Schriften, auch zum Zwecke des Einbandes, von einigen Gelehrten erlaubt Allerdings kommt es auf den Inhalt des verwendeten Materials und des zu schützenden Buches an; Blätter mit historischem Inhalt und Kommentaren können zum Schutz von Koranen, Büchern der Koranexegese und des [[Fiqh]] verwendet werden, nicht aber Blätter aus der [[Adab|schönen - profanen - Literatur.]]<ref> Joseph Sadan (1986), S. 51 und S. 56 (arab. Text)</ref>
Güzelhisārī untersagt in seiner Fatwa, Koranblätter, die nicht mehr benutzt werden können, als Einband, oder als eine Art Schutz für andere Codices zu verwenden. Dies spricht dafür, daß eine solche Praxis spätestens zu seiner Zeit nicht unbekannt gewesen sein dürfte.<ref>Sadan (1986), S. 46</ref> Bereits der [[al-Andalus|andalusische]] Koranexeget al-Qurṭubī, Muḥammad ibn Aḥmad ibn Abī Bakr († 1273 in Oberägypten) verweist in der Einleitung zu seinem monumentalen ''al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān'' auf diese Praxis in einem eigens für die Heiligkeit (''ḥurma'') des Korans gewidmeten Kapitel: „zur Heiligkeit des Korans gehört auch, daß man das abgenutzte und verfallene Blatt (daraus) nicht zum Schutz von Büchern verwendet. Denn das ist eine gemeine Untat; vielmehr wischt man das Blatt mit Wasser ab.“<ref>''al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān.'' Band 1, S. 50. Beirut 2006</ref> Dagegen wird die Verwendung abgenutzter Blätter zum Schutz anderer Schriften, auch zum Zwecke des Einbandes, von einigen Gelehrten erlaubt Allerdings kommt es auf den Inhalt des verwendeten Materials und des zu schützenden Buches an; Blätter mit historischem Inhalt und Kommentaren können zum Schutz von Koranen, Büchern der Koranexegese und des [[Fiqh]] verwendet werden, nicht aber Blätter aus der [[Adab|schönen - profanen - Literatur.]]<ref> Joseph Sadan (1986), S. 51 und S. 56 (arab. Text)</ref>

Version vom 6. November 2011, 20:57 Uhr

Eine Geniza [geˈniːza], im Deutschen meist Genisa geschrieben[1] (hebr. גניזה gənīzā; aus pers.: gonj Schatzkammer; Plural: Genizoth), ist ein vermauerter Hohlraum zur Aufbewahrung ausgedienter jüdischer liturgischer Schriften. Hier wurden nicht mehr lesbare Torarollen oder andere Texte, die man nicht mehr benutzte, verschlossen abgelegt. Texte, die das Tetragrammaton (JHWH) oder andere Gottesnamen enthalten, dürfen nicht einfach weggeworfen werden. So haben wichtige Schriftstücke der jüdischen Liturgie und der jüdischen Geschichte überdauert. Das Vergraben von nicht mehr benutzbaren heiligen Büchern ist in vielen jüdischen Gemeinschaften bis in die Gegenwart bekannt.[2]

Geniza der Ben-Esra-Synagoge in Kairo

Die wohl berühmteste Geniza befindet sich in Kairo und wurde 1890 bei einer Renovierung der Ben-Esra-Synagoge entdeckt, die im Jahre 882 erbaut worden war. In einem abgesonderten Hohlraum unter dem Dach, der nur über eine Leiter zu erreichen war, fanden sich 200.000 Schriftstücke ab dem Jahr 800, wie beispielsweise Das Buch der Weisheit (Altes Testament) in hebräischer Sprache oder die berühmte Damaskusschrift, die später auch in Qumran gefunden wurde, eine jiddische Handschrift mit dem Fragment einer deutschen Heldensage (Dukus Horant), Heiratsurkunden und auch Briefe, die über die Belagerung Jerusalems (Kreuzzüge) aus jüdischer Sicht Auskunft geben.

Die Entdeckung wird Solomon Schechter zugeschrieben. Eine echte Neuentdeckung war es allerdings nicht: 1864 hatte der Gelehrte Jakob Saphir aus Jerusalem zwei Tage in der Synagoge verbracht, ohne den Inhalt der Geniza genau prüfen zu können.

Die Originale der Kairoer Geniza sind heute verstreut; zum Beispiel (allein etwa 110.000) in der Taylor-Schechter Sammlung der Universitätsbibliothek Cambridge, in der Princeton University, wo Prof. Mark R. Cohen (Near East Studies Department) federführend zum Thema forscht, in der Bodleian Library in Oxford und in Sankt Petersburg.

Die Kairoer Geniza hat ganz entscheidend zum Verständnis sowohl der mittelalterlichen jüdischen Geschichte als auch der wissenschaftlichen Erschließung des Judäo-Arabischen und zur Kenntnis der Kultur des Mittelmeerraumes beigetragen. Es ist das Verdienst des Orientalisten Shlomo Dov Goitein, mit seinem fünfbändigen Werk A Mediterranean Society diese wichtigen Materialien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Ein Wörterbuch der Materialien in der Geniza in arabischer Sprache nach Goiteins A Mediterranean Society haben die deutschen Orientalisten Werner Diem und Hans-Peter Radenberg im Jahre 1994 herausgegeben (siehe Literatur).

Genizafunde in Deutschland

In den letzten Jahren sind vor allem im süddeutschen Raum – und hier insbesondere in Franken – Genizafunde aus ehemaligen Synagogengebäuden geborgen worden. Eine der umfangreichsten fränkischen Genizoth befindet sich im Jüdischen Kulturmuseum Veitshöchheim. Die Veitshöchheimer Geniza befand sich im Dachboden der ehemaligen Synagoge von Veitshöchheim und wurde etwa von 1730 bis 1900 belegt. Zahlreiche Drucke und Handschriften sind älter, was auf eine lange Verwendung der Texte schließen lässt. Der schriftliche Bestand setzt sich aus religiösen Schriften wie Bibeln, Gebetbüchern, Einzelgebeten oder rabbinischen Auslegungen aber auch aus nichtreligiöser Literatur wie Märchen, Erbauungsliteratur oder historischen Abhandlungen zusammen.

Die Literatur, die in der Veitshöchheimer Geniza gefunden wurde, ist hauptsächlich in hebräischer, jiddischer oder deutscher Sprache verfasst. Etwa ein Drittel der Texte ist in Hebräisch geschrieben, ein weiteres Drittel in Jiddisch. Einige deutsche Texte sind mit hebräischen Buchstaben geschrieben.

Neben den Druckwerken, zu denen noch Buchstabiertafeln, Lehrbücher der hebräischen Sprache, Taschen- und Wandkalender gerechnet werden müssen, auch Texte in deutscher Sprache (Zeitungen), gibt es auch einen größeren Teil handschriftlicher Texte. In der Mehrzahl handelt es sich um Briefe, rabbinische Gutachten, Quittungen, Rechnungen oder private Aufzeichnungen wie Notizbücher.

Auch Textilien wie etwa Torawimpel, Tefillinbeuteln, Gebetsmäntel, Kippot und weitere Kopfbedeckungen und Kleidungsstücke oder Schuhe wurden gefunden.

Die Veitshöchheimer Geniza kann wegen ihres Umfangs durchaus exemplarisch für andere Fundorte in Süddeutschland stehen. Die Bedeutung liegt vor allem in ihrem komplexen Bestand, der eindeutig einem bestimmten soziokulturellen Umfeld zugeordnet werden kann. Weiterhin ist eine Datierung und zeitliche Einordnung durch Baudaten des jeweiligen Fundortes recht gut möglich. Das zeigen auch andere Genizafunde aus Franken wie die aus Urspringen, Westheim bei Hammelburg, Altenschönbach, Memmelsdorf oder Mönchsroth.

Im 1998 eingerichteten Genizaprojekt Veitshöchheim wurden bisher alle zugänglichen Genizafunde aus unterfränkischen Synagogen gesichtet und inventarisiert. Abgeschlossen ist die Inventarisierung der Genizoth von Urspringen (Lkr. Main-Spessart), Altenschönbach (Lkr. Kitzingen), Memmelsdorf (Lkr. Hassberge), Wiesenbronn (Lkr. Kitzingen), Kleinsteinach (Lkr. Hassberge), Gossmannsdorf (Lkr. Würzburg) und Gaukönigshofen (Lkr. Würzburg). Im Anschluss daran wurde das Projekt auf Oberfranken ausgeweitet: Abgeschlossen sind hier die Bergung und die Inventarisierung der erst im November 2009 in der Synagoge Bayreuth entdeckten Geniza, die Geniza von Reckendorf ist in Bearbeitung.

Verborgenes Handschriftenerbe in Einbandfragmenten

Als „Genizat Germania“ wird ein neueres Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Lehnardt an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz bezeichnet, in dem hebräische Einbandfragmente in deutschen Archiven und Bibliotheken katalogisiert werden. Obwohl es sich dabei nicht um eine Geniza im eigentlichen Sinne handelt, lassen die zu erwartenden Ergebnisse doch Schlüsse „über die Zusammensetzung der ‚Bibliothek‘ des ashkenazischen Judentums am Ausgang des Mittelalters“ zu. Vergleichbare Projekte gibt es in anderen europäischen Ländern; hervorzuheben ist die „Ghenizà italiana“, die seit den frühen Achtzigerjahren unter der Leitung von Mauro Perani (Universität Bologna) erforscht wird.

Geniza-ähnliches Schrifttum im Islam

Die sorgfältige Hinterlegung nicht mehr lesbarer Schriften, die „außer Gebrauch“ sind, ist auch im islamischen Kulturraum bekannt. Davon betroffen sind vor allem alte Koranexemplare oder Teile davon, aber auch juristische Schriften, die geachtete Texte, wie Hadith, Tafsīr (Koranexegese), in denen die Namen Gottes, der Propheten und Engel enthalten sind. Der türkische Gelehrte Muḥammad ibn Ḥamza al-Kūzal-Ḥiṣārī, bekannt als Güzelhisari († 1704), der ausschließlich in arabischer Sprache schrieb, [3] verfaßte im Jahre 1697 eine Fatwa mit der Absicht, die Regelungen zur islamrechtlich korrekten Hinterlegung nicht mehr benutzbarer Bücher nach älteren Quellen aus dem 13. und 15. Jahrhundert zusammenzufassen. Neben Koranexemplaren (maṣāḥif) erwähnt er im allgemeinen auch religiöse Schriften (kutub ad-dīn - Bücher der Religion).

Gemäß seinem zusammenfassenden, an der ḥanafitischen Rechtsschule orientierten Gutachten ist es zulässig, nicht mehr verwendbare Schriften zu verbrennen, nachdem man darin den Gottesnamen und die Namen der Engel und Propheten getilgt hat. Bevorzugt wird allerdings die Reinigung der Schriften in fließendem Wasser und ihre Hinterlegung, in reinen Tüchern eingewickelt, in einem Grab, das unterirdisch seitlich noch eine Nische (laḥd) hat. Nach der Lehre der Hanafiten und Hanbaliten erfolgt das Vergraben von Koranexemplaren, die nicht mehr lesbar sind, genauso, wie die Beisetzung von Muslimen. Hierbei greift man in der Traditionsliteratur auf die alte Praxis eines Schülers von ʿAbd Allāh ibn ʿAbbās († 688), Abū l-Ǧauzāʾ,[4] zurück, der einen durch Feuchtigkeit zerstörten Koran in seiner Privatmoschee in Medina vergraben haben soll. Dabei folgte er der überlieferten Tradition, dernach schon der Kalif ʿUṯmān ibn ʿAffān († 656) Koranexemplare zwischen dem Prophetengrab und dem Minbar der Prophetenmoschee vergraben haben soll.[5]

Güzelhisārī untersagt in seiner Fatwa, Koranblätter, die nicht mehr benutzt werden können, als Einband, oder als eine Art Schutz für andere Codices zu verwenden. Dies spricht dafür, daß eine solche Praxis spätestens zu seiner Zeit nicht unbekannt gewesen sein dürfte.[6] Bereits der andalusische Koranexeget al-Qurṭubī, Muḥammad ibn Aḥmad ibn Abī Bakr († 1273 in Oberägypten) verweist in der Einleitung zu seinem monumentalen al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān auf diese Praxis in einem eigens für die Heiligkeit (ḥurma) des Korans gewidmeten Kapitel: „zur Heiligkeit des Korans gehört auch, daß man das abgenutzte und verfallene Blatt (daraus) nicht zum Schutz von Büchern verwendet. Denn das ist eine gemeine Untat; vielmehr wischt man das Blatt mit Wasser ab.“[7] Dagegen wird die Verwendung abgenutzter Blätter zum Schutz anderer Schriften, auch zum Zwecke des Einbandes, von einigen Gelehrten erlaubt Allerdings kommt es auf den Inhalt des verwendeten Materials und des zu schützenden Buches an; Blätter mit historischem Inhalt und Kommentaren können zum Schutz von Koranen, Büchern der Koranexegese und des Fiqh verwendet werden, nicht aber Blätter aus der schönen - profanen - Literatur.[8]

Einzelnachweise

  1. Beide Schreibweisen sind laut Duden üblich, empfohlen wird Genisa (Duden online)
  2. Joseph Sadan (1986), S. 39. Anm. 8
  3. Carl Brockelmann: Geschichte der arabischen Litteratur. Band II. S. 437. Brill, Leiden 1949. - Güzelhisar ist eine weitere Bezeichnung für die Ortschaft Aydın bei Izmir
  4. aḏ-Ḏahabī: Siyar aʿlām an-nubalāʾ. Band 3. S. 371-372
  5. al-mausūʿa al-fiqhiyya. (3. Auflage. Kuwait 2003). Band 21. S. 21 (dafn al-maṣāḥif)
  6. Sadan (1986), S. 46
  7. al-Ǧāmiʿ li-aḥkām al-Qurʾān. Band 1, S. 50. Beirut 2006
  8. Joseph Sadan (1986), S. 51 und S. 56 (arab. Text)

Literatur

Kairoer Geniza

  • Solomon Dob Fritz Goitein: A Mediterranean Society. The Jewish communities of the Arab world as portrayed in the documents of the Cairo Geniza. 6 Bd. University of California Press, Berkeley & Los Angeles 1967–1968. Bd. I. S. 1ff. ISBN 0-520-03265-9
    • dass. in einem Bd.: University of California Press, Berkeley – Los Angeles – London 1999. ISBN 0-520-21734-9
  • N. Allony: Geniza Fragments of Rabbinic Literature, Mishna, Talmud and Midrash, with Palestinian Vocalization, Jerusalem 1973 (hebräisch)
  • N. Allony: Genizah etzel ha-yehudim. In: Sinai, Bd. 89 (1976), S. 193-201
  • Stefan C. Reif: A Jewish Archive from Old Cairo. Curzon, Richmont 2000. ISBN 0-7007-1312-3
  • Werner Diem und Hans-Peter Radenberg: A Dictionary of the Arabic Material of S.D.Goitein's A Mediterranean Society. Harrassowitz, Wiesbaden 1994 (dazu siehe: Joshua Blau, in: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 19 (1995) 287–295)
  • Simon Hopkins: The discovery of the Cairo Geniza(in Honour of A. M. Lewin Robinson). In: Bibliophilia Africana IV (1980), s. 137-178
  • Joseph Sadan: Genizah and Genizah-like practices in Islamic and Jewish traditions. In: Bibliotheca Orientalis. Bd. 43 (1986), S. 36-58
  • Monica Strauss: Seehandel: Arabien und Indien. Zwischen Kairo und Mangalore. in: Aufbau. Schwerpunktthema: Mythos Seidenstrasse. Spurensuche: Der Beginn der Globalisierung. Nr. 7/8, Juli/Aug. 2010. S. 19–21 – Mit weiteren Art. über Benjamin von Tudela, die Seidenweberei, u. a. In Deutsch, Abstract in Englisch (über die Rolle Shlomo Dov Goiteins bei der Erforschung der Genizah, sowie über Amitav Ghosh)

Genizafunde in Deutschland

  • Martina Edelmann, Die Genisa der Synagoge von Veitshöchheim, in: Depotfunde aus Gebäuden in Zentraleuropa. Bamberger Kolloquium zur Archäologie des Mittelalters, Berlin 2005, 147ff.
  • Martina Edelmann, Elisabeth Singer, Beate Weinhold, Die Genisa von Bayreuth – Entdeckung und Bergung, in: Jüdisches Bayreuth, Bayreuth 2010, 42ff.
  • Martina Edelmann, Elisabeth Singer, Beate Weinhold, Die Lichtenfelser Genisa, in: Die Lichtenfelser Synagoge, Lichtenfels 2011, S. 42ff.
  • Martin Przybilski, Zu einigen jiddischen Fragmenten aus der Veitshöchheimer Genisa, Aschkenas 11, 2001, 233ff.
  • Elisabeth Singer, Die Geschichte vom Fischer und seinem Sohn, in: Bayerische Blätter für Volkskunde 33/34, Würzburg 2006/07, 18ff.
  • Erika Timm, Yiddish Literature in a Franconian Genizah, Jerusalem 1988
  • Anette Weber/Evelyn Friedlander, Mappot – gesegnet, der da kommt. Das Band jüdischer Tradition. Ausstellungskatalog, Osnabrück 1997. ISBN 3-929979-38-1
  • Falk Wiesemann (Hrsg.): Genisa – verborgenes Erbe der deutschen Landjuden. Ausstellungskatalog, Bertelsmann, München 1992. ISBN 3-570-10501-6

Verborgenes Handschriftenerbe in Einbandfragmenten

  • Andreas Lehnardt (Hrsg.): 'Genizat Germania'. Hebrew and Aramaic Binding Fragments from Germany in Context, Brill, Leiden 2010. ISBN 978-90-0417954-7
  • Andreas Lehnardt, Verborgene Schätze in Bucheinbänden. Hebräische und aramäische Handschriftenfragmente als Quelle jüdischer Kultur, in: Kirchliches Buch- und Bibliothekswesen. Jahrbuch 2007/08, S. 89-100. ISSN 1617-4674

Einzelnachweise


Weblinks

Commons: Geniza – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien