Nürnberg Rangierbahnhof

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Nürnberg Rangierbahnhof
Daten
Abkürzung NNR
Eröffnung 1903, grundlegend umgebaut 1983 bis 1988
Lage
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Eisenbahnstrecken Bahnstrecken bei Nürnberg Rangierbahnhof
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BW Der Rangierbahnhof Nürnberg (Bf. Nürnberg Rbf) zählt zu den weltweit größten und leistungsfähigsten Rangierbahnhöfen seiner Bauart. Er ist als einseitiger Gefällebahnhof angelegt. Dafür wurden sowohl in der rangiertechnischen Ausstattung wie auch in der Betriebsweise Sonderlösungen speziell für Nürnberg entwickelt oder adaptiert.

Geografie

Der Rangierbahnhof liegt im Süden der Stadt Nürnberg zwischen den Stadtteilen Gibitzenhof im Nordwesten, Langwasser im Osten und Gartenstadt im Süden. Zusammen mit der Rangierbahnhof-Siedlung kann er als eigener Stadtteil bezeichnet werden.

Über eine Länge von 5,2 Kilometern und einer größten Breite von 2,5 Kilometern beträgt der Höhenunterschied zwischen Einfahr- und Ausfahrgruppe 24 Meter.

Seit dem Bau der Ludwig-Süd-Nord-Bahn entwickelte sich Nürnberg zu einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt. Seit 1877 verlaufen folgende Strecken sternförmig in alle Himmelsrichtungen:

Geschichte

Die umzuschlagenden Gütermengen stiegen am Ende des 19. Jahrhunderts rasant an: Wurden 1860 noch etwa 250.000 Tonnen umgeschlagen, so waren es im Jahr 1900 schon 1,85 Millionen Tonnen.

Anfangs wurde der gesamte Güter- und Personenverkehr im 1847 eröffneten "Centralbahnhof" (heute Nürnberg Hbf) abgewickelt. Dieser erreichte schon bald die Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Deswegen mußte zwischen 1867 und 1876 der damals "neue" Güterbahnhof an den Kohlenhof im Stadteil Gostenhof verlegt werden. Aber schon 1892 hat der damalige Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg Georg Schuh in einer Landtagsrede festgestellt: "Daß die Verhältnisse des Bahnhofs in Nürnberg, und zwar hinsichtlich des Personen- wie auch des Güterverkehrs, sehr mißliche, ja auf Dauer unhaltbare sind, wird wohl von niemanden mehr bestritten."[1] Noch im gleichen Jahr legte die bayerische Staatsbahnverwaltung ein umfassendes Konzept zur Neuplanung des Rangierbahnhofs vor. Für die Realisierung des Vorhabens wurden 5,048 Millionen Mark genehmigt. Die Kernpunkte der Planung umfassten:

  • Neubau des Hauptbahnhofs (erfolgte zwischen 1900 und 1906),
  • Neubau des Rangierbahnhofs im Gebiet des Lorenzer Reichswaldes mit einer benötigten Flache von ungefähr 340 Hektar,
  • eine Verbindungsbahn von Fürth über den Rangierbahnhof nach Nürnberg-Dutzendteich.

Durch diese Maßnahmen konnte der Personen- und Güterverkehr strikt getrennt werden. Die Verlagerung des Güterverkehrs aus der Stadt war derart dringlich, dass 1898 ein Rangierprovisorium angelegt wurde. Wichtigste Voraussetzung zum Betrieb war von der damaligen Generaldirektion so bezeichnete "Verbindungsbahn Fürth–Nürnberg-Dutzendteich". 1899/1900 waren alle sieben von Nürnberg ausgehenden Strecken an den Rangierbahnhof angeschlossen.

Für die Standort-Entscheidung außerhalb der Grenzen des damaligen Nürnbergs sprachen:

  • Die günstige topographische Lage, sechs der sieben Strecken verlaufen südlich der Pegnitz.
  • Es mußte kein Privatgrund aufgekauft werden, der Reichswald befand sich in staatlichem Besitz.
  • Die wichtigsten Industriebetriebe befanden sich in der Nürnberger-Südstadt.

Andererseits mußte wegen der abseitigen Lage für die Beschäftigten eine komplette Siedlungs-Infrastruktur, die Rangierbahnhof-Siedlung, geschaffen werden. Die Entfernung zwischen dem bisherigen Bahnhof am Kohlenhof und dem neuen beträgt eine gute Wegstunde (Luftlinie ca. 4 km). Schon im Gesetzestext wurde gefordert, für mindestens ein Drittel der Beschäftigten betriebsnahe Wohnmöglichkeiten zu schaffen. Die Staatsbahnverwaltung hat die Gebäude in dem Geländestreifen zwischen den Zu- und Abfahrgleisen des Einfahrtsbahnhofes errichtet, da dieser Streifen betrieblich nicht zu nutzen war.

Bau und in Betriebnahme

Der Rangierbahnhof wurde 1897/1898 als Gefällebahnhof nach den Vorbildern Edge Hill bei Liverpool und Dresden geplant.[2] Dazu mußte zwischen den Einfahrgleisen im Südosten und den Ausfahrgleisen im Nordwesten eine schiefe Ebene von enormen Ausmaßen angelegt werden. Die Züge fahren aus Westen und Osten in den Einfahrbahnhof. Es können zwei Züge gleichzeitig abgefertigt werden ("Doppelablauf"). Deswegen wurden die Richtungsgleise in zwei Bündeln angelegt. Anschließend folgen die Stationsgruppen und der Ausfahrbahnhof.

Zur Eröffnung bestand der Einfahrbahnhof aus sechs Einfahrgleisen, zwei Umfahrgleisen und einem Ausziehgleis. Die südliche Richtungsgruppe umfasste 19 Gleise, die nördliche Richtungsgruppe bestand aus 22 Gleisen. Dazu kam ein Schleppgleis. Die beiden anschließenden Stationsgruppen ("Harfen") verfügten über je 11 Gleise, ebenso der Ausfahrbahnhof. Zehn Gleise wurden als Abstellgruppe für zeitweise überflüssige Wagen benutzt.

An weiteren Betriebseinrichtungen wurden auf der südliche Seite errichtet:

  • Ein Betriebswerk mit Stellplätzen und 2 Drehscheiben,
  • eine Werkstätte zur Reparatur von sechs Lokomotiven und 16 Wagen in zwei Hallen,
  • ein eigenes Elektrizitätswerk,
  • ein eigener Tiefbrunnen mit Wasserturm.

Um rund um die Uhr arbeiten zu können, wurden die Signal- und Weichenanlagen elektrisch betrieben. Der Rangierbahnhof also schon zu Beginn auf dem modernsten Stand. Als eines der wenigen nach außen sichtbaren Bauwerke kann der Wasserturm als Wahrzeichen des Rangierbahnhofs gelten.

Die reinen Baukosten beliefen sich auf 12 Millionen Mark, zusammen mit den Zufahrtslinien betrugen sie 21 Millionen Mark. Es mußten, vor allem wegen der anzulegenden schiefen Ebene, über 1,5 Millionen Kubikmeter Erde bewegt werden. Am 3. August 1903 wurde der Rangierbahnhof in Betrieb genommen.

Von Anfang an bestand eine Umladestelle für Stückgut mit acht Stumpfgleisen. Der bisherge Rangierbahnhof am Kohlenhof wurde für die lokale Güterabfertigung weiterbenutzt. Ebenso wurden zahlreiche Industriebetriebe im Süden Nürnbergs an das Eisenbahnnetz angeschlossen, dafür standen anfangs fünf Sammelgleise zur Verfügung. 1909 bestanden auf der nördlichen Seite Anschlußgleise für folgende Betriebe und Einrichtungen (von Ost nach West):

  • Desinfektionsanlage,
  • nördliche Gleisanschlüsse und Stückgut-Umladung,
  • Schienen- und Materiallager,
  • Siemens-Schuckertwerke,
  • Maschinenbaugesellschaft (MAN),
  • östliches Industriegleis (u.a. Richters Dampfsäge),
  • Terrainaktiengesellschaft,
  • westliches Industriegleis,
  • Anlände am Ludwigskanal,
  • Viehhof und zum städtischen Gaswerk in Sandreuth.


Modernisierung 1983 bis 1988

Durch die "Rahmenplanung für Rangierbahnhöfe der Deutschen Bundesbahn" konnte ein Umbau des Rangierbahnhofes in Angriff genommen werden. Das Projekt verfolgte drei Ziele: sie Steigerung der Leistungsfähigkeit, die Erhöhung der Sicherheit und die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit. Vom ersten Spatenstich am 16. Mai 1983 bis zum Abschluß der Arbeiten der Bauarbeiten am 15. Juli 1988 erfolgte der Umbau unter dem rollenden Rad, d.h. ohne Unterbrechung des Rangierbetriebs. Nur über die Osterfeiertage 1987 musste der Bahnhof für 4 Tage geschlossen werden, da die Zulaufbremsen des Ablaufberges ersetzt wurden. Obwohl die Zahl der Gleise im Vorbahnhof, im Einfahrbahnhof sowie in der Richtunggruppe und den Harfen reduziert wurde, konnte durch die weitgehende Automatisierung die Kapazität erhöht werden. Außerdem wurde der Rangierbetrieb sicherer und schneller. Insgesamt wurden durch den Umbau über 400 Arbeitsplätze eingespart. 1983 arbeiteten 1.043 Beschäftigte (ohne Wagenmeister, Zugabfertigung, Lokführe etc.) im Rangierbahnhof, 1988 dagegen nur noch etwa 630. Auch dadurch haben sich die Baukosten von etwa 258 Millionen DM innerhalb weniger Jahre amortisiert.[3]

Besonderheiten

Sowohl die rangiertechnische Ausstattung als auch die Betriebsweise führten dazu, dass Sonderlösungen entwickelt oder adaptiert werden mußten, die zum großen Teil nur in Nürnberg zu finden sind. Die Vielzahl von Zusatzeinrichtungen und Gleisanschlüssen im Rangierbahnhof selbst, außerdem dass hohe Verkehraufkommen durch die in unmittelbarer Nähe liegenden Rangierbahnhöfe Fürth, Nürnberg Hauptgüterbahnhof und Hafen Nürnberg bedingen eine rangierbahnhofuntypische Vermengung mit Knotenbahnhof-Funktionen. Ein typischer Betriebsablauf besteht aus den Schritten:

  1. Die Einfahrt der Züge wird vom Fahrdienstleiter im Stellwerk Einfahrgruppe gesteuert.
  2. Im Gefälle der Einfahrgruppe werden die zu zerlegenden Wagen durch verfahr- und versenkbare Prellböcke gesichert. Der letzte Wagen ist innerhalb der Verfahrstrecke von 40 Metern zu positionieren.
  3. Zum Abschluß der Eingangsbehandlung werden die Bremsen entlüftet und die Kupplungen entsprechend einer durch das Betriebsführungssystem errechneten Trennstellenliste langgemacht. Ein Vorentkuppeln wie in Flachbahnhöfen ist wegen des Gefälles nicht möglich.
  4. Das Anrücken und Abdrücken erfolgt funkferngesteuert und ist vom Freiziehen des Prellbocks bis zum Abdrückende selbsttätig. Nach der Entlastung senkt sich der Prellbock ab und die Abdrückeinheit rückt an, überwacht und gesteuert durch Gleisschaltmittel und Funkbefehle bis zum Berg.
  5. Der Anrückvorgang geht am Ablaufberg bei eingeschalteter Ablaufautomatik fließend in den Abdrückvorgang über. Mit einer Holzstange werden die langgemachten Schraubenkupplungen getrennt.
  6. Am Berg werden durch das Ablaufsteuersystem die Zerlegedaten mit einer Lichtschranke und Gleiskontakten auf Übereinstimmung mit der Achsenzahl überprüft. Der Ablauf in die Zielgleise wird durch Weichenstellung und Geschwindigkeitsregulierung in Gleisbremsen gesteuert. Der Ablaufsteuerrechner (ASR) überwacht mit Hilfe von Gleisschaltmitteln den Laufweg und das Laufverhalten. So können Einholungen oder Eckstöße im Weichenbereich durch Schutzreaktionen verhindert werden. Dabei variiert die Abdrückgeschwindigkeit.
  7. Der Bergmeister schaltet die Automatik ein, überwacht den Abdrückvorgang und andert gegebenenfalls Zerlegedaten.
  8. Im Richtungsgleis werden die Schraubenkupplungen und Bremsleitungen durch einen Rangierarbeiter wieder verbunden. Der Gleisabschluß wird durch versenkbare Prellböcke gebildet. Bei der Gleisräumung gleiten diese in seitliche Schutzkästen, der Wagenzug läuft auf die vor dem Prellbock wartende Überführungsheit. Nach erfolgter Gleisräumung fahren die Prellböcke selbsttätig hoch und übernehmen wieder die Funktion eines Gleisabschlusses.
  9. In der Ausfahrgruppe wird der Zug mit Bremsschuhen gesichert und an die Bremsprobeanlage angeschlossen. Der Wagenmeister führt die brems- und wagentechnische Ausgangsuntersuchung einschließlich der Reihungskontrolle durch.
  10. Nach Anfahrt der Zuglok und Übergabe der Beförderungspapiere ist der Zug fertig zur Abfahrt.

Zum Angleichen der unterschiedlichen Wagengeschwindigkeiten beim Einlauf in die Richtungsgleise dient eine Bremsstaffel aus 3 Bergbremsen, 10 Talbremsen und 68 Richtungsgleisbremsen. Der ASR steuert diese hydraulisch betriebenen Backengleisbremsen anhand der Ablaufdaten jeweils so, dass durch die Bremse die errechnete Soll-Auslaufgeschwindigkeit eingeregelt wird. In den Richtungsgleisen werden die ablaufenden Wagen von Retardern selbsttätig auf einer Geschwindigkeit von maximal 1 m/s (3,6 km/h) gehalten. Im Rangierbahnhof sind insgesamt 55.000 Stück verbaut.


Heutige Bedeutung

An einem Werktag verlassen über 100 Züge den Rangierbahnhof zu über 40 Zielen.[4] So werden u.a. folgende Bahnhöfe bedient:

Literatur

  • DB Cargo Niederlassung Nürnberg, DB Museum Nürnberg, Geschichte Für Alle e.V. (Hrsg.): 100 Jahre Rangierbahnhof Nürnberg. Nürnberg: Sandberg Verlag 2003, ISBN 3-930699-36-2
  • Faltblatt Rangierbahnhof Nürnberg zum Betriebsablauf, ohne Jahr

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Zitiert nach: Martina Bauernfeind: Bürgermeister Georg Ritter von Schuh, Stadtentwicklung in Erlangen und Nürnberg im Zeichen der Hochindustrialisierung 1878-1913 , (= Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 60), Nürnberg 2000, S. 252.
  2. Die zukunftsweisenden Planungen für den Nürnberger Rangierbahnhof in: DB Cargo Niederlassung Nürnberg, DB Museum Nürnberg, Geschichte Für Alle e.V. (Herausgeber): 100 Jahre Rangierbahnhof Nürnberg. Nürnberg: Sandberg Verlag 2003, ISBN 3-930699-36-2, S. 13
  3. Alle Angaben zum Umbau nach Carsten Lorenzen: Automatisierung des Rangierbahnhofs Nürnberg – ein Jahrhundertsprung, in: Horst Weigelt (Hrsg.): Bundesbahndirektion Nürnberg. Fortschritt aus Tradition, Darmstadt 1993, S. 69-74.
  4. Stand 2003.