Analogieverbot

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Das Analogieverbot ist ein vornehmlich strafrechtlicher Rechtsgrundsatz zur Verhinderung der Ahndung einer nicht gesetzlich untersagten Handlung. Es zielt auf eine von einem Richter möglicherweise als „strafwürdig“ eingestufte Handlung, die einer Strafnorm ähnelt, aber dieser gleichwohl nicht voll entspricht. Das Verbot analoger Rechtsanwendung gilt auch und insbesondere dann, wenn offenkundig eine Strafbarkeitslücke vorliegt.

Materielles Strafrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Verbot der entsprechenden Rechtsanwendung gilt nur für den Bereich des materiellen Strafrechtes, d. h. nicht für das Strafverfahrensrecht (man beachte allerdings auch die unten angegebene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum rechtsstaatlichen Analogieverbot bei hoheitlichen Eingriffen).[1] Das Analogieverbot wird aus dem Grundsatz nulla poena sine lege (keine Strafe ohne Gesetz) abgeleitet, welcher übergreifend in Art. 7 Abs. 1 EMRK, in Deutschland in Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz bzw. § 1 Strafgesetzbuch, in Österreich in § 1 des österreichischen Strafgesetzbuches niedergelegt ist. Während in allen anderen Rechtsgebieten planwidrige Regelungslücken durch den Rechtsanwender im Wege der Analogie geschlossen werden dürfen, gehen Regelungslücken im Strafrecht stets zu Lasten des staatlichen Strafanspruchs. So hat das Bundesverfassungsgericht die Ansicht der Instanzgerichte, dass für den Begriff der „Gewalt“ im Nötigungstatbestand (§ 240 StGB) allein ein psychisch vermittelter Zwang ausreichend ist, als Verstoß gegen das Analogieverbot angesehen.[2]

Keinen Verstoß gegen das Analogieverbot stellen hingegen Analogien dar, die zugunsten des Beklagten wirken, z. B. bei Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründen.

Auch die Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen durch das Gericht soll nach Ansicht des Gesetzgebers weder ein Fall analoger Rechtsanwendung noch eines unbestimmten Strafgesetzes (Art. 103 Abs. 2 GG – nulla poena sine lege) sein. So ist die Auslegung des Tatbestandsmerkmales „besonders schwerer Fall des Diebstahls“ in § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB durch vergleichende Anwendung der vom Gesetzgeber ausdrücklich benannten Regelbeispiele für besonders schwere Fälle in § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB zulässig.

Das Bundesverfassungsgericht hat zur Nötigung nach § 240 StGB jedoch entschieden, dass die erweiternde Auslegung des Gewaltbegriffs im Zusammenhang mit Sitzblockaden gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstieß.[2]

Gegen vermeintliche oder tatsächliche Verstöße gegen das Analogieverbot kann durch die Berufung oder die Revision, notfalls im Wege der Verfassungsbeschwerde, vorgegangen werden.

Analogiegebot während der NS-Zeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde das Analogieverbot durch das „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs“ vom 28. Juni 1935[3] aufgehoben und stattdessen in § 2 StGB folgendes kodifiziert: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient. Findet auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wird die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutrifft“.[4] Nach Ende des Dritten Reiches wurde das Analogieverbot wieder im Strafgesetzbuch sowie dem Grundgesetz verankert.

Aktuell[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der strafrechtlichen Fachliteratur wird überwiegend davon ausgegangen, dass der neue § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB, der mit den Worten „eine andere vergleichbare Handlung vornimmt“ auf die Umschreibung konkreten tatbestandsmäßigen Handelns verzichtet und damit offen zur Analogie zu Nr. 1 bis 4 einlädt (Nachstellen vulgo Stalking), die Grenze des Bestimmtheitsgebotes und des Analogieverbotes überschreitet.[5]

Analogieverbot im Öffentlichen Recht und Steuerrecht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Analogieverbot besteht nicht nur im Strafrecht, sondern auch im Steuerrecht und Verwaltungsrecht für Eingriffe des Staats in die Rechtssphäre des Bürgers.[6]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. BVerfG, Beschluss vom 14. August 1996, Az. 2 BvR 2088/93, Volltext = NJW 1996, 3146.
  2. a b BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 1995, Az. 1 BvR 718/89, 1 BvR 719/89, 1 BvR 722/89, 1 BvR 723/89; BVerfGE 92, 1, 14 ff. - Sitzblockaden II.
  3. RGBl. I, S. 839.
  4. zitiert in: Volker Epping: Grundrechte, Berlin 2010 S. 419.
  5. vgl. nur Lackner/Kühl, StGB, § 238 Rn. 5; Neubacher ZStW 118, 855, 870; Gazeas KJ 06, 247, 266; Vander, KritV 2006, 81, 89; Mitsch NJW 2007, 1237, 1239.
  6. BVerfG, Urteil vom 8. Januar 1985@1@2Vorlage:Toter Link/www.jurion.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im September 2022. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., Az. 1 BvR 1050/84, Leitsatz = NJW 1985, 1891; BVerfG, Urteil vom 15. August 1996@1@2Vorlage:Toter Link/www.jurion.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im September 2022. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., Az. 2 BvR 1075/96, Leitsatz = NJW 1996, 3145; a. A.: BFH, Urteil vom 3. April 2001, Az. IX R 16/98, Volltext = DB 2001, 1756.