Edgar Reitz

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Edgar Reitz 2015

Edgar Reitz (* 1. November 1932 in Morbach) ist ein deutscher Autor und Filmregisseur und ehemaliger Professor für Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Größere Bekanntheit erlangte er vor allem durch seine Heimat-Filmreihe.

Leben und Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Edgar Reitz hielt die Laudatio für Werner Herzog bei der Verleihung des Kulturellen Ehrenpreises der Stadt München, 2014

Edgar Reitz stammt aus einer katholischen Familie.[1] Sein Großvater war Schmied[1], sein Vater Robert Reitz ein Uhrmacher, dessen Geschäft in Morbach Reitz’ Bruder Guido später übernahm. Schon während seiner Schulzeit am späteren Herzog-Johann-Gymnasium in Simmern begann Reitz, angeleitet durch seinen Deutschlehrer Karl Windhäuser, mit dem Schauspiel und der Inszenierung von Theaterstücken. Er studierte nach dem Abitur 1952 Germanistik, Publizistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaft in München.

Frühes Schaffen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Erste Erfahrungen mit dem Medium Film machte er nicht theoretisch, sondern als Kamera-, Schnitt- und Produktionsassistent ab 1953. Ebenfalls 1953 betrieb Reitz eine eigene Studiobühne. Im gleichen Jahr entwickelte er für die Deutsche Verkehrsausstellung in München ein Simultan-Projektionsverfahren für 120 bewegliche Leinwände.

Im Jahr 1962 wurde er Leiter Experiment und Entwicklung bei der Firma Insel-Film. Gemeinsam mit Alexander Kluge gründete er 1963 das mit der Hochschule für Gestaltung Ulm verbundene „Institut für Filmgestaltung“. Dort lehrte er Regie und Kameratheorie bis zur Schließung der HfG 1968. Reitz beteiligte sich mit der Gruppe um Kluge am Oberhausener Manifest von 1962 auf den dortigen Kurzfilmtagen. Die versammelten Jungfilmer forderten damit nicht weniger als ein neues Kino: „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.“ Das Motto „Papas Kino ist tot“ war der Titel jener Pressekonferenz. Fortan wurde auch in Deutschland das Konzept des Autorenfilms populär, der in den Folgejahren wesentlich durch Edgar Reitz mitgeprägt wurde.

Eine seiner ersten Auszeichnungen erhielt Reitz 1967 für seinen Spielfilm Mahlzeiten auf dem Festival in Venedig, wo dieser als das beste Erstlingswerk prämiert wurde. 1971 gründete er in München die Edgar Reitz-Filmproduktion (ERF). Die universitäre Zusammenarbeit mit Kluge setzte Reitz nun auch mit gemeinsamen Autorenfilmen fort, darunter den fiktiven Dokumentarfilm 1974: In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod.

Die Filmreihe Heimat[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der aufwändig produzierte Film Der Schneider von Ulm (1978), der den sozialen Absturz des Ulmer Flugpioniers Berblinger nacherzählt, wurde auch für Reitz zur finanziellen Bruchlandung. In dieser Krise entstand die Idee für ein Filmprojekt über seine Heimat, den Hunsrück. Was sich anfangs wie ein Selbstfindungsversuch ausnahm und 1981 zunächst zu einem später als Prolog dienenden zweistündigen Dokumentarfilm über den Hunsrück führte, weitete sich schließlich zur fast 60 Stunden umfassenden Filmreihe Heimat aus, die sowohl bei den Zuschauern sehr erfolgreich war als auch mit Kritikerlob und Preisen überhäuft wurde. Die Hauptteile der als Trilogie angelegten Reihe erschienen 1984, 1992 sowie 2004. Sie wurde 2006 mit dem Epilog Heimat-Fragmente: Die Frauen vollendet. Reitz gelang mit diesem Langzeit- und Monumentalprojekt eine ganz neue Sichtweise, nämlich eine poetische wie realistische Annäherung an die deutsche Vergangenheit, wie sie sich in der Provinz abgespielt haben könnte.

Ab 2011 arbeitete Edgar Reitz an einem Spielfilm, der eine Art Vorgeschichte der Trilogie darstellt und die Epoche des Vormärz anhand der Auswandererwelle aus dem Hunsrück nach Brasilien Mitte des 19. Jahrhunderts thematisiert. Die Dreharbeiten der deutsch-französischen Koproduktion dauerten vom 17. April bis 10. August 2012. Der knapp vierstündige Film kam am 3. Oktober 2013 unter dem Titel Die andere Heimat in die Kinos.

2015 erschien „Heimat“ in einer digital überarbeiteten Version als „Heimat remastered“. „Die zweite Heimat“ wurde im Jahr 2022 in einer digital restaurierten Version vorgestellt.

Weiteres Schaffen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 1970/80er Jahren publizierte Reitz zahlreiche Bücher und Artikel über Filmtheorie und Filmästhetik, darüber hinaus auch Erzählungen, Essays, Lyrik und literarische Fassungen seiner Filme.

1995 gründete Edgar Reitz erneut ein Filminstitut mit, diesmal das „Europäische Institut des Kinofilms (EIKK)“ in Karlsruhe, und wurde im selben Jahr auch zum Professor für Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe berufen. Später wurde er der Vorsitzende des Beirats des EIKK, in dem Kollegen vertreten sind wie Theo Angelopoulos, Alain Tanner, Jean-Luc Godard, István Szabó.

2005 zog sich sein langjähriger Freund und Teilhaber Robert Busch aus der Firma Edgar Reitz-Filmproduktion (ERF) zurück. Seither betreibt Reitz mit seinem Sohn, Christian Reitz, die Firma Reitz & Reitz-Medien GbR mit Sitz in München. Ein weiteres Projekt ist Ortswechsel, ein Stummfilm mit Live-Orchesterbegleitung. Der Film wurde am 20. Oktober 2007 bei den Musiktagen in Donaueschingen uraufgeführt. 2009 erschien eine digitalisierte Fassung seiner früheren Werke als DVD-Ausgabe (Edgar Reitz – Frühwerk).

Wirkungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Schriftsteller Andreas Maier bekannte, Reitz habe ihn bei seinem „Heimat-Herkunfts-Projekt“ Ortsumgehung „sehr beeinflusst“.[2]

Privates[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Edgar Reitz ist in dritter Ehe mit der Sängerin und Schauspielerin Salome Kammer verheiratet und lebt im Münchner Stadtteil Schwabing, am Rand des Englischen Gartens.

Zitate[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

„Heimat ist immer etwas Retrospektives. Ein Gefühl des Verlusts.“

Edgar Reitz[1]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werke (Auszug)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sekundärliteratur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Constantin-Film (Hrsg.): Der junge deutsche Film. Dokumentation zu einer Ausstellung der Constantin-Film, München 1967.
  • Reinhold Rauh: Edgar Reitz. Film als Heimat. Heyne Filmbibliothek, München 1993, ISBN 3-453-06911-0.
  • Werner Barg: Erzählkino und Autorenfilm. Zur Theorie und Praxis filmischen Erzählens bei Alexander Kluge und Edgar Reitz. Fink, München 1996, ISBN 3-7705-3001-2.
  • Marion Dollner: Sehnsucht nach Selbstentbindung. Die unendliche Odyssee des mobilgemachten Helden Paul im Film „Heimat“. Mit einem Interview mit Edgar Reitz. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2005, ISBN 978-3-86110-384-4 (zugleich Dissertation, Universität Mannheim).
  • Matteo Galli: Edgar Reitz. Il Castoro Cinema, Mailand 2006, ISBN 88-8033-386-0.
  • Thomas Koebner: Edgar Reitz: Chronist deutscher Sehnsucht; eine Biographie, Stuttgart: Reclam 2015, ISBN 978-3-15-011016-4
  • Edgar Reitz. Die große Werkschau. Ein Handbuch. Schüren, Marburg 2018, ISBN 978-3-7410-0323-3.
  • 800 Mal Einsam – Ein Tag mit dem Filmemacher Edgar Reitz. Dokumentarfilm von Anna Hepp, 2019.

Filmografie (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dokumentar- und Spielfilme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Kommunikation, Experimentalfilm 1959, 12 Min.
  • Yucatan, poetischer Dokumentarfilm 1960, 11 Min.
  • Baumwolle, Industrie-Dokumentarfilm 1960, 22 Min.
  • Geschwindigkeit, Kurzfilm, 1962, 13 Min.
  • Binnenschiffahrt, Industriefilm, 1964, 20 Min.
  • Unendliche Fahrt – aber begrenzt, Experimentalfilm 1965, 200 Min.
  • VariaVision, ein filmisches Perpetuum Mobile 1964/65, 580 Min.
  • Die Kinder, Kurzfilm 1966, 12 Min.
  • Mahlzeiten, Spielfilm 1966/67, 97 Min.
  • Fußnoten, experimenteller Spielfilm 1967, 100 Min.
  • Filmstunde, Dokumentarfilm 1968, 45 Min.
  • Cardillac, Spielfilm 1968/69, 102 Min.
  • Uxmal, Dokumentar-Spielfilm 1970, 80 Min.
  • Geschichten vom Kübelkind 25 Episoden, mit Ula Stöckl, 1969/70, ca. 220 Min.
  • Das goldene Ding Spielfilm, gemeinsam mit Ula Stöckl und Alf Brustellin, 1971, 118 Min.
  • Kino Zwei, Fernsehfilm 1972, 45 Min.
  • Die Reise nach Wien, Spielfilm 1973, 105 Min.
  • In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod, Dokumentarfilm 1974, Buch und Regie gemeinsam mit Alexander Kluge, 90 Min.
  • Stunde Null, Spielfilm 1976/77, 118 Min.
  • Deutschland im Herbst (Episode Grenzstation) Spielfilm 1978, 25 Min.
  • Der Schneider von Ulm, Spielfilm 1978, 111 Min.
  • Susanne tanzt, Dokumentarfilm 1979, 35 Min.
  • Die Nacht der Regisseure, Dokumentarfilm 1994, 100 Min.
  • Ortswechsel. Ein Multimedia-Projekt für Ensemble, Frauenstimme solo, zwei Schauspieler, Live-Video und Film 2007, 21 Min.
  • Filmstunde_23 2024, 89 Min.

Die Heimat (Trilogie)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Spielfilm-Zyklus in 30 Teilen 1982–2004: Gesamtlänge 52 Stunden, 8 Minuten, Kino: 24B/S

  • Heimat – Eine deutsche Chronik (1984)
  • 1. Fernweh (1919–1928), 119 Min.
  • 2. Die Mitte der Welt (1929–1933), 93 Min.
  • 3. Weihnacht wie noch nie (1935), 58 Min.
  • 4. Reichshöhenstraße (1938), 58 Min.
  • 5. Auf und davon und zurück (1938–1939), 58 Min.
  • 6. Heimatfront (1943), 58 Min.
  • 7. Die Liebe der Soldaten (1944), 59 Min.
  • 8. (Berlin Ende April 1945), 7 Min.
  • 9. Der Amerikaner (1945–1947), 102 Min.
  • 10. Hermännchen (1955–1956), 138 Min.
  • 11. Die stolzen Jahre (1967–1969), 82 Min.
  • 12. Das Fest der Lebenden und der Toten (1982), 100 Min.
  • Die zweite Heimat – Chronik einer Jugend (1992)
  • 13. Die Zeit der ersten Lieder (1960), 120 Min.
  • 14. Zwei fremde Augen (1960–1961), 115 Min.
  • 15. Eifersucht und Stolz (1961), 116 Min.
  • 16. Ansgars Tod (1961–1962), 100 Min.
  • 17. Das Spiel mit der Freiheit (1962), 119 Min.
  • 18. Kennedys Kinder (1963), 108 Min.
  • 19. Weihnachtswölfe (1963), 110 Min.
  • 20. Die Hochzeit (1964), 120 Min.
  • 21. Die ewige Tochter (1965), 118 Min.
  • 22. Das Ende der Zukunft (1966), 132 Min.
  • 23. Zeit des Schweigens (1967–1968), 120 Min.
  • 24. Die Zeit der vielen Worte (1968–1969), 121 Min.
  • 25. Kunst oder Leben (1970), 133 Min.
  • Heimat 3 – Chronik einer Zeitenwende (2004)
  • 26. Das glücklichste Volk der Welt (1989), 106 Min.
  • 27. Die Weltmeister (1990), 100 Min.
  • 28. Die Russen kommen (1992–1993), 125 Min.
  • 29. Allen geht’s gut (1995), 132 Min.
  • 30. Die Erben (1997), 103 Min.
  • 31. Abschied von Schabbach (1999–2000), 105 Min.

DVDs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Mahlzeiten, Zweitausendeins Edition Deutscher Film, 2012.
  • Der Schneider von Ulm, 2011.
  • Stunde Null, 2011.
  • Edgar Reitz – Frühwerk (7 DVDs), 2009.
  • Drehort Heimat – Chronik einer deutschen Jahrhundert-Saga (3 DVDs), 2007.
  • Heimat Trilogie (16 DVD-Box), 2006 / (18 DVD-Box), 2010.
  • Heimat 1 – Eine deutsche Chronik (5 DVDs), 2004.
  • Heimat 2 – Chronik einer Jugend (7 DVDs), 2004.
  • Heimat 3 – Chronik einer Zeitwende (3 DVDs), 2004.
  • Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht (2 DVDs), 2014.

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Stern von Edgar Reitz auf dem Boulevard der Stars in Berlin

Filmpreise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 1960: 1. Preis (bester wissenschaftlicher Film) beim Filmfestival Rom für Krebsforschung I
  • 1960: 1. Preis der Europäischen Industriefilmtage in Rouen für Baumwolle
  • 1961: 2. Preis der Gruppe „Technik und Produktivität“ für Moltopren I – IV
  • 1963: 2× Filmband in Gold (Regie und Produktion) für Geschwindigkeit
  • 1966: Preis für den besten Erstlingsfilm bei den Filmfestspielen von Venedig für Mahlzeiten
  • 1966: Silberner Löwe bei den Filmfestspielen von Venedig 1966 für Abschied von gestern
  • 1974: Filmband in Gold (Musikdramaturgie) für In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod
  • 1978: Adolf-Grimme-Preis mit Silber für Stunde Null
  • 1978: Filmband in Gold (Konzeption) für Deutschland im Herbst im Team

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Nikolaus Hülbusch / Redaktion: Edgar Reitz * 1932. In: Thomas Koebner (Hrsg.): Filmregisseure. Biographien, Werkbeschreibungen, Filmographien. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-010662-4, S. 616–620.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 37, 13. September 2013, S. 19.
  2. Literatur Spiegel Mai 2018, S. 11.
  3. Deutscher Kulturrat. In: Stiftung Brandenburger Tor. Abgerufen am 23. März 2021 (deutsch).
  4. Pressemitteilung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, 6. Juli 2009 (Memento des Originals vom 26. Dezember 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.badsk.de (PDF; 85 kB)
  5. Ehren-Edgar. Heimat-Fanpage, 29. August 21, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 29. August 2021; abgerufen am 29. August 2021.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/heimat-fanpage.de
  6. Berlinale zeichnet deutschen Regisseur Edgar Reitz aus. In: Der Spiegel datum=2024-01-12. Abgerufen am 12. Januar 2024.