Serendipität

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Begriff Serendipität (englisch serendipity), gelegentlich auch Serendipity-Prinzip oder Serendipitätsprinzip, bezeichnet eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist.[1] Verwandt, aber nicht identisch ist die weiter gefasste Redewendung vom glücklichen Zufall. Serendipität betont eine darüber hinausgehende Untersuchungstätigkeit, eine intelligente Schlussfolgerung oder Findigkeit.

Herkunft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Horace Walpole

Erstmals verwendete der britische Autor Horace Walpole, 4. Earl of Orford (1717–1797), den Begriff in einem Brief vom 28. Januar 1754 an seinen in Florenz lebenden Freund Horace Mann und sprach 'von einem unvermuteten glücklichen Fund eines bestimmten Wappens in einem alten Buch'. Dieses Phänomen nannte er in Anlehnung an ein Märchen „Serendipity“.[2][3]

Das Märchen „Drei Prinzen aus Serendip“ des persischen Dichters Amir Khusrau (1253–1325), tauchte in Europa erstmals im 16. Jahrhundert in Übersetzungen auf. Drei Prinzen machen viele unerwartete Entdeckungen auf einer Wanderschaft in Vorbereitung auf ihr Amt. Sie verbanden einzelne Eindrücke, nach denen sie nicht gesucht hatten, zu sinnvollen Erzählungen.[2][4]

Serendip bzw. سرنديب / Sarandīb ist eine alte, von arabischen Händlern geprägte Bezeichnung für Ceylon, das heutige Sri Lanka, und hat ihre Wurzeln im alten Sanskrit-Namen der Insel, Simhaladvipa.[5]

Die Verbreitung, die der Begriff vor allem in wissenschaftlichen Kreisen erhielt, geht mindestens auch auf den US-amerikanischen Soziologen Robert K. Merton (1910–2003) zurück. Er findet sich in seinem mit Elinor Barber verfassten Werk The Travels and Adventures of Serendipity.[6]

Bekannte und bedeutende Beispiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Semachrysa jade wurde zufällig auf Flickr entdeckt, siehe Entdeckungsgeschichte

Bekannte Beispiele für Serendipität sind die Entdeckung Amerikas 1492, die Entdeckungen der Röntgenstrahlung, des Penicillins und Viagras, des Sekundenklebers oder der kosmischen Hintergrundstrahlung. Aber auch geradezu überzufällige Begebenheiten sind beschrieben, die fleißige Forscher zu Entdeckungen führen, bis hin zum Benzolring, der schließlich in einem Traum vorkam. Andere Beispiele sind der Klettverschluss, das Post-it, das Teflon, das Linoleum, das Silikon, die „Erfindung“ des Teebeutels, der Nylonstrümpfe oder auch die Wirkung von LSD auf den Menschen.

In diesem Zusammenhang fällt oft der von Louis Pasteur (1822–1895) geprägte Satz: „Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist.“ Oder: „Wer darauf vorbereitet ist, sieht das Glück eher.“[7]

Der Dinosaurier Serendipaceratops wurde nach diesem Prinzip benannt, da seine Erstbeschreiber nur durch Zufall die wahren verwandtschaftlichen Beziehungen entdeckten.

Psychologische Aspekte von Serendipität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Steve Ayan gibt 2016 in spectrum einen Überblick über diese Aspekte:

Kevin Dunbar dokumentierte ein Jahr lang die Arbeit in vier molekularbiologischen Labors. Die Gespräche drehten sich mehr als viermal so häufig um unerwartete Resultate als um das, womit man rechnete. Die Mehrzahl der Versuchsergebnisse widersprach den Hypothesen. Dies bestätige Robert K. Merton, der Wissenschaft als ein System beschrieb, welches bedeutsame Zufälle provoziere. Experimentierfreude gepaart mit genauer Beobachtung und der Bereitschaft, auch vermeintliche Fehlschläge auszuloten, seien eine Grundlage neuer Erkenntnisse. Naresh Agarwal postuliert, Serendipität basiere vor allem auf zwei Faktoren: »preparedness« und »noticing« – für den Wink des Zufalls bereit zu sein und ihn im richtigen Augenblick zu bemerken. Sanda Erdelez nennt aufgrund von Interviews über unverhoffte Glücksfälle diejenigen, die von vielen solcher guten Fügungen berichteten, »Super-Encounterer« (englisch: to encounter = begegnen, auf etwas stoßen). Drei Dinge kennzeichneten sie: Sie lassen sich leicht auf Abwege führen, entscheiden schnell, was sie interessiert und was nicht, und sie haben keine Angst zu scheitern. Neugier, Flexibilität und Frustrationstoleranz seien die Kernkompetenzen der Glückspilze.[8]

Serendipität in der Informationswissenschaft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch im Bereich des Information Retrievals können Serendipitätseffekte eine Rolle spielen, wenn beispielsweise beim Surfen im Internet unbeabsichtigt nützliche Informationen entdeckt werden. Bei der Recherche in professionellen Datenbanken und vergleichbaren Informationssystemen kann es zu Serendipitätseffekten kommen. Hier wird die Serendipität zu einem Kennwert der Fähigkeit eines Informationssystems, trotz eines Überangebots von Daten nützliche Informationen zu finden.

Die folgende Formel versucht zu bewerten, wie weit ein Informationssystem fähig ist, nützliche Informationen zu finden.

: Serendipität

: Anzahl der brauchbaren Dokumente – wenn auch für ein anderes Suchargument!

: Anzahl der für das Suchargument nicht relevanten Dokumente (siehe Recall und Precision)

Der Serendipitätseffekt ist nicht auf Hypertexte beschränkt, sondern tritt auch beim Stöbern in der Freihandaufstellung einer Bibliothek oder dem Angebot einer gut sortierten Buchhandlung auf.[9] Dafür wurde bereits lange vor dem Aufkommen des Internets der Begriff Browsing verwendet. Eugen Roth hat diesen Effekt in seinem Gedicht Das Hilfsbuch humorvoll verarbeitet.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Film[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die US-amerikanische Kinoproduktion Weil es Dich gibt (Originaltitel: Serendipity) aus dem Jahr 2001 mit John Cusack und Kate Beckinsale in den Hauptrollen greift hier auf das Thema Serendipität zurück. In den USA hatte der Film am 5. Oktober 2001 Premiere, in Deutschland und der Schweiz kam er am 29. November 2001 in die Kinos.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Christoforo Armeno: Peregrinaggio di tre giovani figliuoli del re di Serendippo, dalla persiana nell’italiana lingua trapportato. Venedig 1557.
  • Theodore G. Remer (Hrsg.): Serendipity and the Three Princes. University Press, Oklahoma 1965.
  • Jasia Reichardt (Hrsg.): Cybernetic Serendipity. The computer and the arts, Studio International, London 1968.
  • Jutta H. T. Klawitter-Pommer, Wolf D. Hoffmann: Übersicht über die für den Leistungsvergleich mehrerer Literatur-Datenbasen wichtigsten Parameter. In: Nachrichten für Dokumentation 27, 1976, ISSN 0027-7436, S. 103–108.
  • Royston M. Roberts: Serendipity. Accidental Discoveries in Science. Wiley, New York 1989, ISBN 0-471-60203-5.
  • Pek van Andel: Anatomy of the unsought finding: Serendipity: origin, history, domains, traditions, appearances, patterns and programmability. In: British Journal for the Philosophy of Science. 45(2), 1994, S. 631–648, University Press, Oxford.
  • Sheldon Lee Glashow: Immanuel Kant versus the Princes of Serendip: Does science evolve through blind chance or intelligent design? In: Contribs Sci. Band 2, 2002, S. 252–255 (physics.bu.edu (Memento vom 21. September 2009 im Internet Archive) [PDF; 106 kB] Hrsg. Institut d’Estudis Catalans, Barcelona).
  • Robert K. Merton und Elinor Barber: The Travels and Adventures of Serendipity: A Study in Sociological Semantics and the Sociology of Science. Princeton University Press, Princeton 2004, ISBN 0-691-11754-3.
  • Andreas M Cohrs: California Serendipity – Through Desert and High Sierra. Info Verlag, Bretten, ISBN 978-3-88190-680-7
  • Robert K. Merton: Auf den Schultern von Riesen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-28026-0.
  • Patrick J. Hannan: Serendipity, Luck, and Wisdom in Research. iUniverse, New York 2006, ISBN 0-595-36551-5.
  • Martin Schneider: Teflon, Post-it und Viagra. Wiley-VCH, Weinheim 2006, ISBN 3-527-31643-4.
  • Gudrun Schury: Wer nicht sucht, der findet. Zufallsentdeckungen in der Wissenschaft. Campus, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-593-37799-3.
  • Heinrich Zankl: Die Launen des Zufalls. Wissenschaftliche Entdeckungen von Archimedes bis heute. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, ISBN 3-89678-428-5.
  • Andreas Beyer: Aby Warburgs Serendipity, in: Merkur, Juni 2021, 75. Jahrgang, Heft 865, pp 63-70.
  • Christian Busch: The Serendpity Mindset. Auf Deutsch: Erfolgsfaktor Zufall. Murmann Publishers, Hamburg 2023, ISBN 978-3-86774-754-7.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. „the discovery through chance by a theoretically prepared mind of valid findings which were not sought for“. In: Robert K. Merton: Social Theory and Social Structure. The Free Press, Glencoe IL 1957, S. 12.
  2. a b Jakob Krameritsch: Geschichte(n) im Netzwerk-Medien in der Wissenschaft Band 43 S. 186
  3. Horace Walpoles Brief auf Gutenberg.org (TXT, 191 Letter 90 To Sir Horace Mann. vom 28. Januar 1754)
  4. The Three Princes of Serendip auf livingheritage.org (englische Nacherzählung in 2 Teilen von Richard Boyle 2000)
  5. C. Clayton Casson: Victory in Life: Twelve Principles for Success. AuthorHouse, 2007. ISBN 1-4343-0542-2, S. 229
  6. Riccardo Campa: Making Science by Serendipity. A review of Robert K. Merton and Elinor Barber’s The Travels and Adventures of Serendipity Journal of Evolution and Technology. 17(1), März 2998 S. 75-83
  7. Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist auf zitate7.de
  8. nach Steve Ayan: Wie wir unserem Glück auf die Sprünge helfen. spectrum.de vom 7. Oktober 2016
  9. Jakob Krameritsch: Geschichte(n) im Netzwerk. Hypertext und dessen Potenziale für die Produktion, Repräsentation und Rezeption der historischen Erzählung. Waxmann, Münster 2007, S. 189.